Interviews

Dr. Rowald Hepp, Jahrgang 1962, ist verheiratet und hat 3 Kinder. 1982 absolvierte Rowald Hepp eine zweijährige Ausbildung zum Winzer, im Weingut Christoph Steinmann, im Sommerhausen.

Im Anschluss daran begann er ein Studium für Weinbau und Oenologie an der Fachhochschule Wiesbaden, Geisenheim, welches er als Diplom-Ingenieur abschloss. Darauf folge ein Aufbaustudium an der Justus-Liebig-Universität Gießen und Forschungsanstalt Geisenheim zum Diplom-Oenologen. Nachfolgend bearbeitete er seine Dissertation mit Abschluss der Promotion zum Dr. agr.

Von 1992 bis 1994 war er Leiter der Hessischen Staatsweingüter am Kloster Eberbach, parallel hierzu war er von 1991 bis 1994 Sprecher der Eberbacher Weinmesse.
In den Jahren von 1994 bis 1999 war er Weingutsdirektor des Staatlichen Hofkellers in Würzburg.

Seit 1999 ist er Weingutsdirektor und Geschäftsführer im Schloss Vollrads, in Oestrich-Winkel im Rheingau.

Interview:

Welche Werte haben für Sie besondere Bedeutung und warum?
Vertrauen und Ehrlichkeit sind für mich entscheidende Werte, die eng miteinander verzahnt sind. Mit einer gelebten Ehrlichkeit finden fast automatisch Menschen zueinander, die diesen Wert teilen. Daraus entwickelt sich eine gemeinsame Basis, auf deren Grundlage sich viele Dinge leichter voranbringen lassen.

Ehrlichkeit hat zudem zwei Dimensionen. Die Ehrlichkeit anderen gegenüber, aber auch die Ehrlichkeit gegenüber sich selbst. Beide bedingen sich. Daher ist es auch so wichtig, die kleinen Macken und Fehler zuzulassen, die jeder von uns hat. Wer erkannt hat, dass Perfektionismus eine Utopie ist, verfolgt dieses Ziel nicht mehr. Er kann ehrlich zu sich selbst sein.

Auch das Vertrauen hat zwei Dimensionen. Zum einen das Vertrauen der anderen in uns, aber auch unser eigenes Selbstvertrauen, also die Reflexion nach innen. Selbstvertrauen ist Grundvoraussetzung dafür, dass Menschen eine Ausstrahlung entwickeln können, die dann wieder eine Vertrauensbasis schaffen kann. Wer aber vorgibt, mehr Selbstvertrauen zu haben, als das tatsächlich der Fall ist, der ist sich selbst und anderen gegenüber nicht ehrlich. Das wird oft schnell durchschaut.

Wie positiv Ehrlichkeit sein kann, zeigte sich zum Beispiel, als ich von einem jungen Mann mit internationalen Abschlüssen an Eliteuniversitäten als Referenz für seinen zukünftigen Arbeitgeber angegeben wurde. Ich schilderte auf Nachfrage sowohl seine Stärken als auch seine Schwächen. Im Nachgang berichtete ich dem jungen Mann von meiner Vorgehensweise. Sein Kommentar war „you are brutally honest“. In dieser Kombination hatte ich das Wort „ehrlich“ noch nicht gehört, doch diese Ehrlichkeit verhalf ihm zu dem Job. Der Vorteil war: Sein Arbeitgeber kannte seine Schwächen und konnte darauf richtig reagieren und er musste sich nicht verstellen. Eine Win-Win-Situation für beide Seiten.

Mit welchen Werten kann ein Unternehmen langfristig erfolgreich am Markt agieren? Bringt Wertschätzung auch Wertschöpfung?
Auf jeden Fall bringt Wertschätzung auch Wertschöpfung. Sie ist aus meiner Sicht sogar Voraussetzung, um langfristige Partnerschaften zu schaffen und Krisensituationen gut zu überstehen. Wenn ich jemandem Respekt, Vertrauen und Wertschätzung entgegenbringe, kann ich mich auf die Kernfragen konzentrieren. Das hilft dabei, die Komplexität aus einer Situation herauszunehmen, so dass ich mich auf die eigentlichen Aufgaben und ihre Lösungen konzentrieren kann.

Wertschätzung hat auch immer etwas mit Toleranz und Akzeptanz zu tun. Ich selbst verfolge die Leitlinie, alle Mitarbeiter in unserem Unternehmen gleich zu behandeln. Das beginnt bei der morgendlichen Begrüßung mit Handschlag. Wir sind als Team immer nur so stark wie das schwächste Glied in der Kette. Das sollte man nie aus den Augen verlieren. Wertschätzung führt zu Motivation und diese ist der Antriebsmotor für ein Unternehmen.

Wichtig ist dabei, dass diese Wertschätzung kontinuierlich gelebt wird. Sie ist keine Einmalaktion, sondern eine Grundeinstellung. Das Ausnutzen von Hierarchien bringt aus meiner Sicht keinen langfristigen Erfolg. Dagegen führt Wertschätzung für die Mitarbeiter zu einer konstruktiven Loyalität im Unternehmen, die gerade in Krisensituationen von großer Wichtigkeit sein kann.

Die Digitalisierung schreitet voran. Brauchen wir neue Werte in unserer neuen digitalen Welt, die gerade mit einer unglaublichen Schnelligkeit unser aller Leben verändert?
Als Weingut sind wir Teil der Landwirtschaft. Oft wird übersehen, wie wichtig das Thema Digitalisierung in diesem Wirtschaftssektor ist. Das betrifft zum Beispiel hochtechnisierte Weinbergsmaschinen, die man schon fast als Steillagenroboter bezeichnen kann, aber auch neue Wege des Vertriebs für unsere Produkte. Was mir in der Digitalisierungsdebatte immer wieder bewusst wird, ist, dass die Mitarbeiter, die diese neuen digitalen Prozesse umsetzen müssen, in der Kommentierung der digitalen Welt zu kurz kommen. Mitarbeiter müssten viel stärker bei ihrer Aus- und Weiterbildung auf die digitale Welt vorbereitet werden. Technisch versucht jeder, auf den neusten Stand zu kommen, doch die Frage bleibt, wie die Technik dann im Unternehmen umgesetzt wird.
Digitalisierung führt ja dazu, dass die Genauigkeit und Schnelligkeit von Prozessen zunimmt.
Zugleich gibt es weniger Korrekturmöglichkeiten. Wenn etwas erst einmal in den Kommunikationsplattformen der digitalen Welt ist, kann man es schlecht zurücknehmen. Wir müssen daher viel stärker über mögliche Folgen unseres Tuns nachdenken und Reaktionen antizipieren. Es ist hinlänglich bekannt, dass dadurch der Druck auf die Mitarbeiter entsprechend steigt und zu psychosomatischen Erkrankungen führen kann. Dem gilt es entgegen zu wirken.

Wir brauchen dringend Leitlinien und verlässliche Werte, an denen sich die Mitarbeiter in der digitalen Welt orientieren können. Unsere Kommunikation und unsere Arbeitswelt werden immer unpersönlicher. Daher rücken die von mir eingangs genannten Grundwerte Ehrlichkeit und Vertrauen wieder stärker in den Fokus.

Werteerziehung gehört zu den großen Herausforderungen unserer Zeit. Mit welchen Wertvorstellungen gehen junge Menschen heute ins Leben und sind diese Wertvorstellungen zukunftsfähig?
Junge Leute machen sich sehr viele Gedanken darum, wie sie den technischen Anforderungen des Berufslebens gerecht werden können, aber die emotionale oder charakterliche Festigung findet bei der Ausbildung kaum Beachtung. Bei der Entwicklung der „soft skills“, die ja diese Wertediskussion mit einschließt, werden die Menschen sich selbst überlassen.

Das merke ich auch bei Vorstellungsgesprächen. Die jungen Leute haben in der Regel ein gutes Selbstverstrauen, weil sie nicht zuletzt davon ausgehen, dass vor allem die „hard skills“ in die Waagschale geworfen werden. Wenn ich aber in solchen Gesprächen versuche, die Teamfähigkeit oder Belastbarkeit meines Gegenübers auszutesten, dann merke ich oft, dass dieses Selbstvertrauen doch bis zu einem gewissen Grade nur Fassade ist. Dabei sind es gerade diese weichen Faktoren, die für den unternehmerischen Erfolg sehr wichtig sind.

Wir sollten bei der Erziehung junger Menschen wieder viel stärker auf die Teamfähigkeit achten. Bereits Kinder haben die Chance, in teamorientierte Sportarten zu gehen und sich in Sportvereinen zu engagieren. Während es für mich als Kind schwierig war, überhaupt in die Fußballmannschaft meines Sportvereins zu kommen, weil dieser vollkommen überlaufen war, legen heute mehrere Gemeinden ihre Aktivitäten zusammen, um überhaupt noch eine Mannschaft auf die Beine zu stellen. Kinder und Jugendliche haben oft in der Schule so viel Druck, dass sie am Nachmittag mit den Hausaufgaben beschäftigt sind. Da bleibt wenig Zeit für Sport, wenn zudem auch noch ein Musikinstrument gespielt wird oder eine sozial mehr Beachtung findende Einzelsportart wie zum Beispiel Tennis auf dem Programm steht.

Dabei werden gerade bei Teamsportarten Werte vermittelt, die sonst in unserer Gesellschaft zu kurz kommen und für die jungen Menschen später im Job von großer Bedeutung sind.

Inzwischen bin ich seit Jahren in meinem Beruf tätig und habe dabei folgende Beobachtung gemacht: Vor fünfzehn Jahren haben die jungen Leute bei Bewerbungen herausgestellt, was sie für das Unternehmen leisten können. Heute fragen junge Leute eher, was das Unternehmen tun kann, um sie in ihrer Weiterentwicklung zu unterstützen. Die Individualität und selbstbezogene Profilierung stehen im Vordergrund, während es vor einigen Jahren noch das Gemeinwohl war. Dies ist natürlich auch ein Spiegel unserer Gesellschaft.

Korruption, Ränkeschmiede, Vetternwirtschaft: ein Blick auf die globalisierte Welt stärkt nicht gerade das Vertrauen in funktionierende Wertesysteme. Wie können wir in unserer alles andere als perfekten Welt, Werte erfolgreich leben?
Einer der Sätze, die mir in diesem Zusammenhang einfallen, ist „wehret den Anfängen“. Sicherlich sind gepflogenheiten im internationalen Vergleich unterschiedlich, aber für mich ist das die Gelegenheit, meine eigenen Wertvorstellungen zu leben und zu verargumentieren.
Es ist besser, auch einmal die Extrameile zu gehen, als Abstriche von seinen Werten zu machen. Werte sind nicht verhandelbar!

Gerade in diesem Zusammenhang sollte der zweite wichtige Satz gelten „tue Gutes und rede darüber“. Ich halte es für wichtig, seine eigenen Vorstellungen zu erläutern und dadurch Verständnis zu schaffen für die Hartnäckigkeit in der eigenen Position. Dazu gehört auch, einmal ganz plakativ auf ein Geschäft zu verzichten, wenn man dabei kein gutes Gefühl hat oder es nur dann zustande käme, wenn man die eigenen Werte über Bord wirft.

Wenn ich auf mein bisheriges Berufsleben zurückblicke, waren Korruption und Mauscheleien nie ein Thema, weil Werte von meiner Erziehung und Lebenserfahrung aus gesehen immer von großer Bedeutung waren. Hier schließt sich der Kreis zum Thema Ehrlichkeit. Es ist wichtig, sich selbst treu zu bleiben und dem Gegenüber zu vermitteln, dass Ehrlichkeit und Vertrauen für das Zustandekommen der Geschäftsbeziehung unabdingbar sind, dadurch hat man in schwierigen Situationen immer eine Leitlinie und Festigkeit, die verhindert, dass man in so einen Sumpf hineingezogen wird.

Wir arbeiten derzeit in über 40 Ländern ohne vertragliche Bindung allein auf Basis der alten hanseatischen Kaufmannstradition des Handschlags. Wenn ich bei jemandem im Wort stehe, ist das für mich dieselbe Verpflichtung als hätte ich einen zehnseitigen Vertrag unterzeichnet. Allerdings funktioniert das nur, wenn mein Gegenüber meine Wertvorstellungen von Ehrlichkeit und Vertrauen auch teilt. Geschäfte dieser Art kann ich mit niemandem machen, der nur an Gewinnmaximierung denkt. Bisher wurde ich nur ein einziges Mal von einem Geschäftspartner enttäuscht und das auch nur, weil er wohl meinte, aufgrund einer Notsituation sein Handeln ändern zu müssen und mich mit einer Zahlung versetzen zu müssen.

Welche Persönlichkeit des öffentlichen Lebens, hat für Sie wirklich Vorbildfunktion und wenn ja, warum?
Ich habe vor einiger Zeit in der Zeitung einen Artikel über einen anonym gebliebenen Obdachlosen gelesen, der eine Geldbörse mit 5000 Euro gefunden hat. Dieser Mann hat das Geld bei der nächsten Polizeidienststelle abgegeben. Das ist für mich absolut vorbildlich.

Wenn Werte – selbst in so einer schwierigen Lebenslage – hochgehalten werden, macht mir das Mut und schenkt Vertrauen in die Zukunft unserer Gesellschaft.

 

Dieses Interview führte die Journalistin Christiane Harriehausen.