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Prof. Dr. Burkhard Schwenker ist seit Juli 2015 Chairman of the Advisory Council von Roland Berger. Zuvor war er Vorsitzender des Aufsichtsrates und langjähriger CEO des Unternehmens. Burkhard Schwenker ist Mitglied in den Aufsichtsräten der Hamburger Hafen und Logistik AG (HHLA), der Hamburger Sparkasse AG (HASPA), der HENSOLDT Holding GmbH, der Flughafen Hamburg GmbH sowie im Aktionärsausschuss der Bank M.M. Warburg & Co. KGaA. Darüber hinaus hält er Aufsichtsrats- und Beiratsmandate in mehreren Start-up-Unternehmen. Er lehrt an der HHL Leipzig Graduate School of Management strategisches Management. Neben diesen Tätigkeiten engagiert sich Burkhard Schwenker aktiv in gesellschaftspolitischen Institutionen und Stiftungen. Von 2010-2019 war er stellvertretender Vorsitzender der Atlantik-Brücke e.V, ist Vorsitzender des Aufsichtsrates der Symphoniker Hamburg und Mitglied in den Kuratorien bzw. Senaten der Zeit-Stiftung, der Wertestiftung, des Senates der Wirtschaft und der Wertekommission – Initiative Werte Bewusste Führung e. V.

Interview

Welche Werte haben für Sie besondere Bedeutung und warum?

Einer der wichtigsten Werte ist für mich Respekt, weil ich damit eine Dualität verbinde: Nur wer Respekt vor seiner Aufgabe hat, überschätzt sich nicht. Und nur wer Menschen respektiert, kann Menschen ordentlich führen.

Respekt – und die damit verbundene Dualität – ist mir auch deswegen wichtig, weil gerade dieser Wert die Anforderungen an Führungskräfte reflektiert: „A cool head, a warm heart, and working hands.“ Der „kühle Kopf“ steht für die Fähigkeit, Herausforderungen richtig einzuschätzen (oder Respekt davor zu haben), das „warme Herz“ steht dafür, dass man Menschen mögen muss, wenn man sie verantwortlich führen will (oder sie zumindest respektiert, jeden einzelnen), und die „working hands“ stehen dafür, sich zum Anpacken nicht zu schade zu sein.

 

Mit welchen Werten kann ein Unternehmen langfristig erfolgreich am Markt agieren? Bringt Wertschätzung auch Wertschöpfung?

Werte werden durch Persönlichkeiten transportiert. Deshalb ist mir die Zielgruppe der Führungskräfte auch so wichtig. Ein Unternehmen oder eine Institution selbst kann das nicht – sondern nur die Menschen, die für diese Unternehmen oder Institutionen stehen. Zwar hat jedes Unternehmen heute einen Wertekanon, in aller Regel schön formuliert und häufig auch offensiv kommuniziert, aber ob diese Werte mehr wert sind als schöne Worte zeigt sich nur am Verhalten der Führungskräfte. Stehen sie dazu, führen sie auch danach, ziehen sie Konsequenzen, wenn jemand (oder sie selbst) gegen diesen Wertekanon verstößt? Haben sie ein Gespür dafür, wann aus vermeintlich unternehmerischem Vorgehen Opportunismus wird? Denn klar ist: Die Welt ist nicht schwarz/weiß; gerade in den Grauzonen zeigt sich, ob Werte etwas wert sind. Denn selbstverständlich kann man sich jede Entscheidung schönreden.

Ein Beispiel: In nahezu jedem Wertekanon steht zu Recht, dass nur Mitarbeiter befördert werden sollen, die sich zu diesem Kanon bekennen und danach handeln. Aber was macht man, wenn ein Mitarbeiter ein exzellenter Verkäufer und wichtig für das Unternehmen ist, zugleich aber menschlich unzureichende Qualitäten aufweist? Wenn es dem Unternehmen gut geht, fällt die Entscheidung gegen einen solchen Mitarbeiter leicht. Aber was ist, wenn das Unternehmen gerade eine schwierige Phase durchläuft und der Verlust des Mitarbeiters existentielle Probleme mit sich bringen könnte? Trotzdem befördern, um kurzfristigen Schaden für das Unternehmen und damit für alle Mitarbeiter abzuwenden? Oder konsequent sein und nicht befördern, selbst wenn das dazu führen kann, dass der oder die Betreffende das Unternehmen verlässt? Oder anders gefragt: Kann ich es mir als Führungskraft leisten, meinem Umfeld durch eine Entscheidung für diesen Mitarbeiter zu signalisieren, dass mein Wertegerüst nicht mehr zählt, sobald es eng wird?

Die Antwort ist klar, auch wenn sie nicht einfach zu treffen ist: Nein, das kann man sich nicht leisten. Gerade ich solchen Situationen dürfen keine Kompromisse gemacht werden! Denn ein solches Verhalten richtet einen Kollateralschaden an, der gar nicht schwer genug eingeschätzt werden kann. Mit einer einzigen Entscheidung vernichten wir alles an Wertvorstellungen, was wir mühevoll aufgebaut haben. Aber gleichzeitig liegt in dieser Konsequenz auch eine große Chance, denn nichts macht Werte stabiler als richtige, wertebasierte Entscheidungen in schwierigen Situationen.

 

Die Digitalisierung schreitet voran. Brauchen wir neue Werte in unserer neuen digitalen Welt, die gerade mit einer unglaublichen Schnelligkeit unser aller Leben verändert?

Nein, wir brauchen keine neuen oder anderen Werte, denn unsere Werte sind universell. Es hat in der Geschichte der Menschheit immer wieder große Umbrüche und Krisen gegeben, aber die Werte haben dennoch ihre Bedeutung behalten. Das gilt auch für die Digitalisierung.

Allerdings stimmt auch: Die Digitalisierung verändert unsere Kommunikation, zum Guten wie zum Schlechten. Ein Beispiel hierfür ist ein sogenannter Shitstorm. Ich selbst habe zwei erlebt und weiß deswegen, dass das alles andere als angenehm ist. Und trotzdem glaube ich nicht, dass die Menschen vor der Digitalisierung, anders gedacht haben. Nur damals fanden Beleidigungen, Schmähungen oder auch Bedrohungen an Stammtischen, auf Versammlungen oder in Leserbriefen statt. Das hat diszipliniert, denn die Äußerungen konnten zugeordnet werden. Das Internet bietet nun die Möglichkeit der anonymen Kommunikation – was offensichtlich dazu führt, dass alle Regeln von Maß und Anstand über Bord geworfen werden. Deswegen brauchen wir eine „Ethik für das Internet“ – und zwar basierend auf den Werten, die schon immer richtig waren: Verantwortung, Integrität, Mut und vor allem: Respekt!

Das ist nicht einfach – aber genauso richtig ist, dass uns die Digitalisierung ganz andere Möglichkeiten schafft, um Menschen von der Bedeutung der Werte zu überzeugen. Wir können anders kommunizieren, viel direkter, anschaulicher, emotionaler, anlassbezogener. Allerdings müssen wir das auch tun, und zwar  nicht nur digital. Wenn Maß und Anstand verloren gehen, wenn Werte erodieren, dann bringt es nichts, in hochwertigen Foren auf hohem intellektuellem Niveau über Werte zu diskutieren – also von Bekehrten zu Bekehrten. Wir müssen diese geschützten Räume verlassen, einen breiten gesellschaftlichen Dialog suchen und dabei eine klare Linie aufzeigen, wenn es um Werte geht. „Besorgte Bürger“ nicht zu verstehen, sondern eine rote Linie ziehen, wenn aus Protest Rechtsradikalismus wird. Das ist nicht immer einfach und nicht angenehm, wie ich bei der einen oder anderen Veranstaltung dieser Art feststellen durfte. Aber am Ende einer solchen Diskussionsrunde hat man das Gefühl, etwas bewirkt zu haben und erste Schritte in die richtige Richtung gegangen zu sein.

 

Werteerziehung gehört zu den großen Herausforderungen unserer Zeit. Mit welchen Wertvorstellungen gehen junge Menschen heute ins Leben und sind diese Wertvorstellungen zukunftsfähig?

Ich glaube nicht, dass junge Menschen heute mit ganz anderen Wertvorstellungen ins Leben gehen als wir damals. Jedenfalls nicht, wenn es um so grundlegende Werte geht wie die, die die Wertekommission vertritt. Aber Werte müssen heute wahrscheinlich noch stärker gefestigt werden, denn die Vielfalt an Meinungen und auch an schlechten Beispielen ist heute viel größer – eben auch durch das Internet. Hier ist das Elternhaus gefragt, aber auch die Schule und die Universitäten. Ich finde es gut, dass Ethik mittlerweile an vielen Universitäten und Business Schools ein Pflichtfach geworden ist. Aber wir können noch mehr machen: Wenn es wirklich etwas bringen soll, darf nicht nur der Lehrplan abgehakt werden, sondern Werte müssen in jeder Vorlesung, in jeder Disziplin thematisiert werden. Ich bemühe mich in meinen Vorlesungen jedenfalls, genau das zu tun – und ich habe den Eindruck, dass es auch etwas bringt, gerade weil man Werte sozusagen „am Fall“ ganz zielgerichtet problematisieren kann.

Die grundlegende Werteerziehung findet für mich aber trotzdem immer noch im Elternhaus statt. Und hier liegt ein Problem, denn wenn eine Generation ohne klare Verhaltensregeln oder mit einem eingeschränkten Wertekanon aufwächst, kann sie Werte nicht mehr richtig an die nächste Generation weitergeben. Denkt man dieses Modell zu Ende, gehen Veränderungen zum Positiven auch über eine umfassende Erwachsenenbildung in Sachen Werte. Und diese findet vor allem am Arbeitsplatz statt. Deswegen ist die Arbeit der Wertekommission so wichtig. Denn eine wertebasierte Führung und die entsprechende Anleitung von Mitarbeitern ist ein entscheidender Baustein für gesellschaftliche Stabilität.

 

Korruption, Ränkeschmiede, Vetternwirtschaft: ein Blick auf die globalisierte Welt stärkt nicht gerade das Vertrauen in funktionierende Wertesysteme. Wie können wir in unserer alles andere als perfekten Welt Werte erfolgreich leben?

Wichtig ist, dass wir das Bild nicht zu schwarzmalen. Natürlich wäre es blauäugig zu glauben, dass es keine Korruption oder Vetternwirtschaft gibt. Aber es gibt auch große Fortschritte: Die breite Diskussion über Compliance beispielsweise hat dazu geführt, dass Korruption zumindest in der westlichen Welt kaum noch eine Rolle spielt. Und das ist gut so, denn alle Zahlen zeigen, dass es eine hohe Korrelation zwischen Korruption und wirtschaftlichem Erfolg eines Landes gibt: Länder mit geringer Korruption stehen in der Regel deutlich besser da und weisen eine höhere soziale Stabilität auf.

Genau hier müssen wir weitermachen, auf staatlicher Ebene, wenn es beispielsweise um Entwicklungshilfe geht, aber natürlich auch in den Unternehmen, wenn es um Geschäfte in Regionen geht, die nicht „complient“ sind. Wichtig ist es, sich und sein Verhalten immer wieder selbst zu hinterfragen und aufzumerken, sobald man anfängt opportunistisch zu handeln. Das hatten wir oben schon – Korruption geht gar nicht!

Für mich gibt es in diesem Zusammenhang aber noch ein Thema, das über allem steht und die Bedeutung von Werten unterstreicht: Ungewissheit! Auch objektiv betrachtet wird es immer schwieriger, ein klares Bild der Lage zu gewinnen, denn technologische Sprünge werden immer dynamischer, Risiken größer, globale Verwicklungen komplexer. Und mehr noch: Zusammenhänge sind längst nicht mehr so eindeutig wie früher, Bedrohungen nicht immer sofort erkennbar, Freund und Feind nicht immer einfach zu unterscheiden. Jederzeit können neue, unerwartete Entwicklungen eintreten und bewährte Vorgehensweisen in Frage stellen.

Die Konsequenzen daraus sind erheblich, vor allem für die Führung. Konnten wir früher über Pläne und Zahlen führen – das ist unsere Strategie, das wollen wir erreichen, deswegen sind wir so organisiert –, geht das heute nicht mehr, denn jeder Plan kann schon morgen obsolet sein. Aber nicht zu kommunizieren ist auch keine Alternative, denn damit geht Orientierung verloren. Was schon deswegen ein Problem ist, weil das Bedürfnis nach Orientierung in unserer immer komplexer werdenden Welt ständig steigt.

Die einzige Möglichkeit, mit diesem Dilemma umzugehen, sind starke Führungspersönlichkeiten, denen die Mitarbeiter vertrauen können. Anders gesagt: Führung wird wieder persönlicher, denn wenn ich keine Orientierung mehr in einem System oder einer Planung finde, sind Führungskräfte der wichtigste Anker. Und damit die Werte, für die eine Führungskraft steht: Verlässlichkeit, Mut, der unbedingte Wille, trotz aller Ungewissheit das Beste für das Unternehmen tun zu wollen. Genau deswegen wird die Bedeutung von Werten oder einer wertorientierten Führung steigen – und damit auch die Bedeutung, die die Wertekommission einnehmen kann.

 

Welche Persönlichkeit des öffentlichen Lebens hat für Sie wirklich Vorbildfunktion und wenn ja, warum?

Ich tue mich mit Vorbildern immer schwer, auch weil die Anforderungen an das Vorbild so groß sind – wer verhält sich schon immer vorbildhaft?

Ich möchte deswegen, wenn ich die Frage beantworten muss, eine Kommission nennen, also eine Gruppe von Menschen, die als Gremium wirklich vorbildlich gewirkt und Unglaubliches geleistet hat. Ich meine die Kommission, die vor nunmehr 70 Jahren das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland erarbeitet hat. Ich habe großen Respekt vor diesen Menschen, die sich damals, nach den furchtbaren Erfahrungen der Nazi-Zeit und des Zweiten Weltkriegs, zusammengefunden haben, um dem neuen Deutschland eine neue Verfassung zu geben. Diese Kommission hat es geschafft, aus den Trümmern heraus so abstrakt zu denken und Entwicklungen zu antizipieren, die Deutschland zu dem gemacht haben, was es heute ist. Diese Menschen hatten klare Wertvorstellungen und haben um diese Werte gerungen haben. Mehr Wertorientierung geht nicht!

 

Dieses Interview führte die Journalistin Christiane Harriehausen.